4 Gesellschaft und Mitwelt

 

"Die Landwirte sind tief betroffen, das Undenkbare wurde plötzlich Realität." So eine Nachrichtenmeldung am 18.12.2000 über die bayerischen Bauern angesichts dort aufgetretener BSE-Fälle. Das Undenkbare wurde plötzlich Realität? An diesem Satz ist alles gelogen. Weder hätte man sich so etwas nicht denken können, noch kam es plötzlich auf uns zu. Rudolf Steiner z.B. hat schon 1923 davor gewarnt, dass Rinder verrückt würden, wenn man ihnen Fleisch zu fressen gäbe. Und seit damals, spätestens aber seit der immer stärker als industrielle Produktion hergerichteten Landwirtschaft, gibt es eine Überfülle von Hinweise darauf, dass dieser Weg eine Sackgasse ist. Viele weitere Katastrophen haben wir längst in die Wege geleitet. Wenn man diese Folgen nicht denken kann, dann ist das auch ein Problem der Wahrnehmungsfähigkeit (die zum Teil schon als Folge unserer Weltzerstörung eingeschränkt ist, etwa durch unsere Selbstvergiftung mit Schwermetallen). Unsere Schulen sind nicht gerade Meister in der Entwicklung der Wahrnehmungsfähigkeit der nachfolgenden Generation, sie sind weitaus stärker in der Zerstörung von Wahrnehmungspotentialen zugunsten einer Engführung auf den fatalen Trampelpfaden unserer Gesellschaft. Erste Forderung an ein Bildungssystem: Hilfe zur Entwicklung einer weiten und tiefen Wahrnehmungsfähigkeit.

 

Unsere Wahrnehmungsfähigkeit ist auch deshalb eingeschränkt, weil wir kompromißlos abergläubig sind. Dieser Aberglauben unserer Zeit, hat auch eine präzise Variante: Wissenschaft.

 

Es gibt einfache Gesetze, die uns als Denkhilfe dienen können. Zum Beispiel: Alle Gifte die wir herstellen, werden schließlich überall sein und auch überall wirken. Der Satz taugt mehr als Tonnagen von wissenschaftlichen Gutachten über Ungefährlichkeiten und Grenzwerte. Und es gibt Erfahrungen, die uns leiten könnten. Zum Beispiel die Erfahrung des 20. Jahrhunderts, dass man jeden als Schwarzmaler diffamierte, der vor aufkommenden Gefahren warnte, während sich hinterher stets herausstellte, dass die Wirklichkeit noch weit schwärzer ausfiel als es sich der Diffamierte vorgestellt hatte. Grenzwerte etwa mussten stets verschärft werden, da die offizielle Lesart mit ihrer Schönfärberei vor der harten Wirklichkeit nicht bestehen konnte. Es kommt alles viel schlimmer, ist die Erfahrung des vergangenen Jahrhunderts mit der Arroganz der technischen Umgestaltung der Welt: Ob wir diese Realität nicht irgendwann einmal wahrnehmen sollten, statt starr in dem irrationalen Traum von einem technisch hergestellten Paradies zu verharren?

 

 

"In unserer Lage sind wir verpflichtet, mit der Katastrophe zu rechnen und mit ihr schlafen zu gehen, damit sie uns nicht zur Nacht überrascht. Nur dadurch werden wir zu einem Vorrat an Sicherheit gelangen, der das vernunftmäßige Handeln möglich macht."

[Ernst Jünger: Der Waldgang]